Einige Nachbetrachtungen zu einer Diskussion zum Emanzipatorischen Grundeinkommen
Lohnberuf und Ehrenamt
Mit der Einführung eines Emanzipatorischen Grundeinkommens wird nicht die Frage beantwortet, ob man etwas ehrenamtlich oder wegen des Lohnes tut, sondern es wird die Verhandlungsgrundlage dafür geschaffen, darüber zu entscheiden, welche Arbeit man bezahlt haben möchte und welche nicht.
Mit der Einführung wird ein neue Grundlage für die Selbstgestaltungsprozesse der Gesellschaft gesetzt. Es geht den Verfechtern darum, mehr Menschen an der Gestaltung ihrer Lebensumwelt zu beteiligen.
Was der Idee des bedingungslosen Grundeinkommens seine Dämonisierung nehmen sollte, ist die von allen linken Modellen angestrebte allmähliche Einführung.
Sozusagen ein „Wandel durch Annäherung“ an den großen Unbekannten, der Gesellschaft mit bedingungslosem Einkommen.
„Wandel durch Annäherung“ bezeichnet ein Prinzip, das meiner Ansicht zur emanzipatorischen Perspektive dazugehört, und zwar in einem umfassenderen Sinne, weshalb ich später nochmal darauf zurückkommen werde.
Angesichts der Klimakrise und der Umweltzerstörung auf Kosten der Ärmeren – Länder wie Menschen – geht es nicht um Ehrenamt oder Lohnarbeit, nicht um Wohlstand oder Aufopferung, sondern um Wohlbefinden, und da ist es dem BGE egal, ob jemand dafür bezahlt werden will, für das, was er tut, oder nicht.
Es geht beim BGE um 2 Kreisläufe, die sich nicht trennen lassen, Wirtschaft UND Politik.
Über das BGE soll die Beteiligung der Bürger*innen an der Gestaltung der Gesellschaft verbessert werden. Es geht darum, den Rücken frei zu haben für die Mitgestaltung. Zum Beispiel auch darüber, welches Geld zu welchen Zwecken wohin fließt.
Es geht um 2 unterschiedliche Arten von Gesellschaft.
Mit dem BGE wechselt man die Gesellschaft aus.
Das ist ein Unterschied ähnlich dem zwischen Bruttoglücksprodukt, das das Wohlbefinden einer Gesellschaft misst, und dem Bruttoinlandsprodukt, das immer noch als Maß des Wohlstands genutzt wird.
Raubwirtschaft
Ein Hindernis der angemessenen Wahrnehmung, was die Gesellschaft ausmacht, ist die Darstellung der Wirtschaft als einer Unternehmung, bei der die Arbeitnehmer ihre Arbeitskraft investieren, damit dann der Unternehmer im Ausland die Produkte verkauft und die Gewinne mit „heimbringt“.
Im Grunde ist das das Muster der Familie, inder alle im Haushalt mithelfen müssen und der Vater dann hinausgeht,um zu arbeiten, und dann das Geld mit heimbringt.
Das ist ein Bild, das beispielsweise mit der römischen Wirtschaftsweise absolut übereinstimmt: die Armeen ziehen aus, um Tributzahler, Sklaven und Grund-und-Boden zu erobern, von denen her dann ihre wirtschaftlichen Grundlagen herrühren. Nur würde man das nicht Volkswirtschaft nennen, das die Wirtschaft als mehr oder weniger geschlossenen Kreislauf beschreibt, das Muster, das Bontrup in den wirtschaftspolitischen Diskussionen hochhält, sondern Raubwirtschaft – eine Kategorie übrigens, die Aristoteles in seiner Aufzählung ausdrücklilch mit aufführt.
Der gruselige Part ist der, dass diese Denkweise durchaus der der Nazi-Ideologie entspricht. Da ist es die Volksgemeinschaft von Arbeitern und Unternehmern – und Soldaten – die das „Erworbene“ „heim ins Reich“ bringen.
Ungewahr dieser Ähnlichkeit erwarten wir z.B. von der Autoindustrie, dass „sie das Geld ins Land bringt“. Das ist die fröhliche Rede vom „Exportweltmeister“, in der sich der Stolz über die eigene wirtschaftliche Leistung paart mit der nicht gesehenen oder verdrängten Ausbeutung der belieferten Länder, dass nämlich diese Länder über ihre Verschuldung zum Ausverkauf ihrer Werte wie profitable Unternehmen (Griechenland) oder Rohstoffe (Afrika) gezwungen werden.
Raubwirtschaft also.
Ein Muster des wirtschaftspolitischen Denkens, das einer Welt, in der die Menschenrechte gelten, gerecht werden will, ist das einer Wirtschaft als geschlossenem Kreislauf, in dem der Anteil der jeweiligen Leistungen der Wirtschaftsteilnehmer nicht logisch-mathematisch geklärt werden kann, sondern lediglich die Verteilung des gemeinsam Erwirtschafteten von den gesellschaftlichen Mitglieder verhandelt wird. Ein Kreislauf, der auf Kooperation beruht.
Die positiven Beispiele der Lohnarbeit zeugen von einer gewissen Bedingungslosigkeit, die den Erwerbstätigen in ihrer Arbeit bereits gewährt werden.
Gesellschaftlicher Zwang und Arbeitswille
Weshalb ich so vehement beim Zwang als gesellschaftliches Mittel gegenhalte, liegt daran, dass es so bereitwillig gegenüber gesellschaftlich Schwache in Anschlag gebracht wird, aber bei den Eliten mit schöner Regelmäßigkeit außen vor bleibt. Man denke an Winterkorn angesichts des Abgasskandals bei VW oder an die ganzen Banker nach der Finanzkrise.
Zur Einschätzung, dass angesichts der Computersucht ein Zwang zum Arbeiten schon helfen könnte, möchte ich die Möglichkeit anführen, dass besagte Sucht vielleicht ja gerade schon eine Reaktion auf besagten Zwang sein könnte, der den Genuß der Lebenswirklichkeit vergiftet. In untersuchungen zur Computer/Spiele/Internetsucht soll festgestellt worden sein, dass allein Begeisterung für Dinge außerhalb der virtuellen Realität Menschen sich von ihrer Sucht gelöst hätten.
Was die Dystopie der bespaßten Plebejer angeht, möchte ich auf die Vorgehensweise als „Wandel durch Annäherung“ verweisen, die ich später noch ausführe.
Was die Betrachtung von Zwang angeht, sollte noch berücksichtigt werden, dass der über Behörden durchgesetzte Zwang nicht zu vergleichen ist mit Zwang, wie er unter Freunden oder in der Familie stattfindet. Behördliche Verordnung wird nur in Idealsituationen, namentlich in Situationen, wo der zuständige Mitarbeiter sich dem Druck seiner Behörde entziehen kann, und mit viel Zeit und Empathie sich seinem Klienten zuwenden kann, dem Betroffenen gerecht werden können. Das sind aber Glücksfälle, die ans Märchenhafte grenzen.
Gerade in unserer gegenwärtigen Gesellschaft erleben wir, dass die Mitarbeiter selbst so empathielos hinundhergeschoben werden, man denke an den Bonn-Köln-Düsseldorf-Raum, wo sie aufgrund von Befristung zwischen den Behörden regelmäßig wechseln müssen.
Die Zuweisung des gesellschaftlich zustehenden Anteils findet zudem bei der Kopplung des Einkommens an die Arbeit über den Umweg statt, dass der Erwerbstätige den Anordnungen des Unternehmers Folge leisten muss. Dem Unternehmen wird damit eine gesellschaftliche Schlüsselstellung zugewiesen, die ihm nicht zukommen sollte.
Trotzdem wird ausgerechnet ihm diese Schlüsselstellung anvertraut, da man unterstellt, dass gerade er den Rückkopplungen sinnvollen Wirtschaftens über Erfolg und Nicht-Erfolg seines Unternehmens ausgesetzt ist. Dieses bleibt eine Unterstellung, und ist gerade nicht eine Feststellung, die durch Untersuchungen gesichert wäre.
Hierarchische versus Horizontale Kontrolle
In Betrieb und Amt findet Kontrolle über Hierarchie statt, warum findet sie nicht wie z.B. bei der Gewaltenteilung oder im Freundeskreis auf gleicher Ebene statt?
Die Gesellschaft als Experimentierfeld
Es ist die Besonderheit des Bedingungslosen Grundeinkommens, sagen wir besser Emanzipatorischen Grundeinkommens, dass die Betroffenen selbst experimentieren, und nicht einfach die Versuchskaninchen anderer sind.
Was die Gesellschaft als Experimentierfeld von Eliten angeht, da hat Naomi Klein in ihrem Buch „Schockstrategie“ die Beispiele des letzten Jahrhunderts aufgezählt. Joseph Stiglitz beschreibt in seinem Buch „ Die Schatten der Globalisierung“ die Diskussionen in IWF und Weltbank zur Transfomation Russlands, wo durchklingt, wie die russische Gesellschaft im Fokus einer experimentierenden Elite stand.
Wer über ein bedingungsloses Einkommen spricht, muss seine Wirtschaftlichkeit begründen.
Konkurrenz-Dilemma oder Solidar-Dilemma
Es wird bei wirtschaftspolitischen Diskussionen immer wieder das Argument der internationalen Konkurrenz angeführt, ein Argument, dem dann bei Entscheidungen letztlich selbst menschenrechtlichen Erwägungen gegenüber der Vorrang eingeräumt wird.
Deutschland ist in diesem internationalen Konkurrenz-Dilemma aber einer der stärksten Akteure, der über seine Position die Situation durchaus als Solidar-Dilemma deuten und angehen könnte.
So wie Willy Brandt und Egon Bahr sich entschlossen hatten, den potentiellen Kriegsgegner als potentiellen Friedenspartner zu sehen.
So wie sie den Rüstungswettlauf, müssen wir den Wachstumswettlauf stoppen.
Wäre angesichts des Drucks der internationalen Konkurrenz nicht eine Strategie angebracht, wie sie Willy Brandt und Egon Bahr gegenüber der Bedrohung durch das Aufrüsten der Blöcke im Kalten Krieg in Einsatz gebracht hatten?
So wie Brandt gegen die Dämonisierung des Gegners zu kämpfen hatte, so haben wir mit der Dämonisierung der Konsequenzen zu kämpfen, die eine Einschränkung der internationalen Konkurrenz angeblich zu bedeuten hätte: „Wachstumsrückgänge“, „Anstieg der Arbeitslosenzahlen“, „innergesellschaftliche Spannungen“! (Wobei faktisch aber innergesellschaftliche Spannungen in Kauf genommen werden, um die Doktrin unbedingter internationaler Konkurrenz durchzusetzen. )
Wirtschaftswissenschaftler wie Ha-Joon Chang zeigen an Beispielen wie Süd-Korea oder auch Preußen, dass internationale Konkurrenz durchaus massiv eingeschränkt werden kann, und dann auch noch mit – enormen – wirtschaftlichen Erfolgen belohnt wurde.
Der Rüstungswettlauf hat durchaus im Wachstumswettlauf seine Entsprechung, wenn man die Zerstörung und Unterwerfung der Lebensbedingungen der Menschen unter ihre Prinzipien und die Umweltverschmutzung und den Klimawandel betrachtet.
Humankapital
„Wandel durch Annäherung“ kann man aber durchaus auf andere Gebiete ausweiten. Wie z.B. die Annäherung linker Theoriebildung an Erkenntnisse neoliberaler Provinienz wie es Foucault in seiner Vorlesung zur „Geburt der Biopolitik“ vorführt. (Ich beziehe mich hier ausdrücklich nur auf den Ausschnitt der Rede in „Texte zur Theorie der Arbeit“ im Reclam-Verlag.)
Darin greift er den Begriff des von neoliberalen Theoretikern wie Schultze geprägten „Humankapitals“ auf. Wirtschaftstheoretisch wird dabei festgestellt, dass hinter der Arbeit als Beitrag zum gesellschaftlichen Fortschritt nicht einfach die zeitlich gemessene Arbeitsleistung steht, sondern der Mensch als Träger des Humankapitals, in das dessen Gesundheit, Bildung, Lernfähigkeit und Befähigungen insgesamt eingeht! Die Abschaffung der Kinderarbeit bzw. die Einführung der Schulpflicht im Preußen des 18 Jahrhunderts gehört da genauso zu wie der Ausbau und die Förderung von Universitäten und Berufsschulen, Sozialversicherungen, Gesundheitsvorsorge usw.
Nun wird im Neoliberalismus Humankapital auch so betrachtet, als könnte ein Mensch sich verwerten oder könnte ein Mensch verwertet werden, ohne dass er darauf auf Verluste der eigenen Gesundheit Rücksicht nehmen müsste. Das wiederspricht aber dem Charakter von Kapital. Denn, ob es sich nun um Kapital in Form von Produktionsmitteln oder finanziellen Mitteln oder Humankapital handelt, der Charakter von Kapital ist, dass es genutzt wird um Mehrwert zu schaffen, es geht nicht darum Kapital zu zerstören, im Gegenteil, die Zerstörung oder Entwertung des Kapitals ist zu vermeiden. Sollte es Entwertet oder zerstört werden, so ist dies als ein Effekt der Marktkonkurrenz zu sehen, der aber immer noch der Verwertungsabsicht des Kapitalhabers widerstrebt, der an der Erhaltung und an dem Ausbau seines Kapitals interessiert ist.
Wenn also von der neoliberalen Perspektive der Verkauf einer Niere als Nutzung des Kapitals eines Menschen betrachtet werden mag, dann verfehlt diese Perspektive den Sinn von Kapital.
Deshalb deckt sich an diesem Punkt mein Begriff von Humankapital nicht mahr mit dem neoliberalen Verständnis der Selbstausbeutung. In dem zugrundegelegten Text oder in einer der Fußnoten dazu wird dem Menschen sein Lebensgenuss als möglicher Mehrwert der Nutzung seines Humankapitals zugestanden, was den Mehrwert als nominell messbarem Wert dem Wirtschaftskalkül entzieht.
Wer von diesem Begriff Humankapitel inspiriert auf eine mysteriöse Stelle im Werk des Theoretikers August von Hayek blickt, dem Autor, der eine Schlüsselstellung in der Welteroberung der neoliberalen Doktrin hat, kann auf die Idee kommen, dass neben den bislang entdeckten Formen von Kapital vielleicht noch eines fehlt.
In jener mysteriösen Stelle führt Hayek den Kunstbegriff „Katallaxie“ ein, den er von einem altgriechischen Verb herleitet, dass in seinen Übersetzungen, wie er selbst darlegt und wie es einem vom Wörterbuch bestätigt wird, „tauschen“, „in die Gemeinschaft aufnehmen“ und „aus einem Feind einen Freund machen“ heißt.
Kann es sein, dass das „Zwischenmenschliche“ auch als Kapital verstanden werden kann?
Und zwar ausdrücklich das Vebindende, Soziale, Gemeinschaftstiftende und Feindschaft-Überwindende? Nicht die Konkurrenz?
Wenn man diesen Gedanken zulässt, gewinnt man in den Blick, wie das zwischenmenschliche Sich-Austauschen die Grundlage für das wirtschaftlich betrachtete bloße Tauschen von Waren schafft.
Dem angeblich so leeren an Preisen orientierten Vorgang des Tauschens von Waren, wie er auch von Marx geschildert wird, liegt der Vorgang einer Art des Tauschens zugrunde, der Vertrauen und Verbindlichkeiten zwischen Menschen erst schafft, einer Art, wie sie Marcel Mausse in seinem Werk „Die Gabe“ beschreibt und David Graeber in seinen Schilderungen in „Schulden – die ersten 5000 Jahre“ in vielen Anekdoten aus der Geschichte und anthropologischen Forschungen aufgreift.
Ja, das „Zwischenmenschliche“ kann als Kapital aufgefasst werden.
Kein Wunder also, dass Hayek so beseelt vom alle Probleme lösenden Effekt des Marktes sprechen konnte. Aber wie kommt es, dass er bei der Durchsetzung von Regeln für so einen Markt dabei ausblenden konnte, wie dem über den Tausch in die Gemeinschaft Aufgenommenen gleichzeitig ebenbürtige Lebensgrundlagen verweigert werden?
IWF und Weltbank, die seiner Doktrin folgten, haben bekanntermaßen über ihre Kreditvergaben Länder in die Gemeinschaft internationaler Wirtschaftstätigkeiten aufgenommen, indem sie sie zur Öffnung von Kapitalflüssen zwangen und ihnen gleichzeitig verweigerten, Grundnahrungsmittel, Medikamente oder Bildungsprogramme finanziell zu unterstützen.
Vielleicht liegt das im Selbsterleben der Kreise begründet, die Marx als Bourgoisie stigmatisierte.
Schon Adam Smith beschreibt in seinem „Wohlstand der Nationen“ wie die Unternehmer sich auf Feierlichkeiten trafen und beiläufig verständigten, um die Konkurrenz zu unterlaufen, die sie gleichzeitig der Gesamtgesellschaft in ihren Pamphleten als Rezeptur zur Anwendung empfahlen.
Solidar-Kapital
Bei den Unternehmern untereinander ist reichlich Solidar-Kapital angesammelt.
Max Horkheimer berichtet von seinem Vater, einem Fabrikanten, wie dieser seine Kunden gewann. Als ausschlaggebend betrachtete sein Vater dabei nicht nur, dass die angebotene Ware eine gute Qualität aufwies, sondern die ganze Souveränität, Kultiviertheit, Belesenheit, Unterhaltsamkeit und Verbindlichkeit, die seine eigene Person ausstrahlte. Dabei ist wichtig festzuhalten, dass es darum ging, nicht einmalig eine Ware zu verkaufen, sondern einen Kunden zu gewinnen, der langfristig die Waren abnehmen würde, um sie weiterzuverarbeiten oder weiterzuverkaufen. Anders ausgedrückt, es wurde das Kettenglied einer Produktionskette geknüpft, „in eine Gemeinschaft“ aufgenommen.
David Graeber beschreibt in seinen Auseinandersetzungen zum Thema Schulden in einem Gespräch im schweizerischen Fernsehen, wie die Reichen mit Schulden untereinander – im Unterschied zu dem Umgang mit Schulden gegenüber Unterlegenen, Ärmeren – umgehen würden. Unter Seinesgleichen kann man schonmal Geld verleihen, dass man dann unter keinen Umständen zurücknehmen will, wenn der Freund oder Standesangehörige sich finanziell wieder berappelt hat.
Die vielen Fälle unternehmerischer Fehlleistungen großer Konzerne in den letzten Jahren, wo die Unternehmensführer trotzdem mit horrenden Geldsummen abgefunden wurden, lassen darauf schließen, dass die Gesetze, die gegenüber vielen mit mathematischer Unerbittlichkeit durchgehalten werden, in manchen Kreisen anderen Vorgaben weichen müssen.
Sind dieses vielleicht Vorgaben, die Grundlage jeden gemeinschaftlichen Wirtschaftens sind, und die gesellschaftliche Kreise innerhalb ihrer Gruppe gewähren, aber Außenstehenden verweigern? Wären das vielleicht Vorgaben, die gesellschaftsweit oder weltweit, gelten müssten, wenn das Wirtschaften und Tauschen zum Wohle aller stattfinden sollte?
Ich nenne diese Vorgaben Solidar-Kapital, in denen sich das Tauschen und Sich-Austauschen auf Augenhöhe als vertrauensstiftend, als gemeinschaftsbildend, ja friedensstiftend auswirken.
Man könnte Solidar-Kapital auch als all das bezeichnen, das zur Annäherung zwischen Menschen, Ländern, Unternehmen, Haushalten usw. beiträgt. Die oben erwähnten Maßnahmen zur Bildung von Humankapital in Preußen wären dann Bestandteil des Solidar-Kapitals: Die Abschaffung der Kinderarbeit bzw. die Einführung der Schulpflicht, Ausbau und die Förderung von Universitäten und Berufsschulen, Sozialversicherungen, Gesundheitsvorsorge usw.
Aber auch Nachbarschaftspflege, Gemeinschaftshäuser, zentrale öffentliche Plätze und Räume, regelmäßige Zusammenkünfte auf unterschiedlichsten Ebenen, Mitbestimmungsportale, Demonstrationen, gewaltfreier Widerstand, Online-Portale zur Diskussion, Abstimmung und Organisation solidarischer Aktionen, politische generationenübergreifende Wohngemeinschaften, Viertel oder Höfe, in denen sich solidarisch-politische Menschen zusammenfinden, fortbilden und organisieren – und z.B. die Gewährung von Grundeinkommen, zunächst für Kinder und Rentner, dann Erwerbslose, usw. ohne erst großartig Bedingungen daran zu knüpfen, dienten dann dem Aufbau und der Pflege von Solidar-Kapital.
Was wäre nun mit dem Begriff Solidar-Kapital gewonnen, wenn der Nutzen der öffentlichen Leistungen wie Infrastruktur, Energie, Wasserversorgung, öffentlicher Nahverkehr, Universitäten, Schulen, Jugendämter, Krankenhäuser und dergleichen eh nur von Verfechtern des schlanken Staats aus der neoliberalen Ecke in Zweifel gezogen werden?
Meiner Ansicht ist mit dem Begriff gewonnen, dass man zeigen kann, dass bereits von innerhalb ihres originären Denkzusammenhangs her diese ganzen öffentlichen Einrichtungen ihre Berechtigung haben, ja als unverzichtbarer Bestandteil des Zusammenspiels betrachtet werden können.
Erkennt man dieses als Kapital an, dann sind Steuern schlagartig nicht mehr nur ärgerliche Schwächungen der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, sondern haben ihre – wirtschaftliche – Berechtigung ja Notwendigkeit grad wie die Einnahmen großer Konzerne und Zinszahlungen und was noch alles ein neoliberaler Wirtschaftsteilnehmer als berechtigte Zahlungsvorgänge ansehen mag.
Nochmal andersherum: all die über Steuern und Sozialabgaben finanzierten öffentlichen Beiträge zur Wirtschaftsleistung, die sich immer wieder vorhalten lassen mussten, dass sie die „eigentliche“ Wirtschaftsleistung, als die die Produktion von Gütern immer wieder in Stellung gebracht wird, belasten, können den Spieß umdrehen und zeigen, dass ihre Kapitalbildung nicht Belastung, sondern unverzichtbares Gegenstück zur Privatwirtschaft ist.
Zum Solidar-Kapital, das nicht nur in elitären Kreisen wirkt, wird man neben den öffentlichen Einrichtungen noch eine Kultur und Struktur der Solidarität erarbeiten müssen, die leichteres und wirksameres Eintreten für die Belange wirtschaftlich schwächerer Teilhaber der Gesellschaft erlauben. Weltweit wird der Einfluss des Solidar-Kapitals stärker werden müssen, insbesondere wenn die Verhinderung der Klimakatastrophe ernst genommen werden soll. Wachstum wird dafür nicht benötigt, sondern die gerechte Verteilung von Ressourcen.
„Wandel durch Annäherung“ wäre dann genau das, was das Solidar-Kapital für gesellschaftliche Transformationen nutzt.
Zusammengefasst: Solidar-Kapital ist ein Kapital, das der Bildung und Erhaltung von Humankapital dient. Über Machtstrukturen untergraben Industrie und Militärs und Korruption das Solidar-Kapital. Sie schränken die Generierung und Regenerierung von Humankapital ein. Durch den Ausbau des Solidar-Kapitals wird die Bildung von Humankapital in der Form gestärkt, dass die Einkommen der anderen Kapitale eingeschränkt werden zu Gunsten der Humankapitale, oder wie sie außerhalb der Verwertungslogik genannt werden: den Menschen.